Artenschutz durch Habitatmanagement – Der Mythos von der unberührten Natur

cover_kunz_artenschutzDie engagierte Brandrede von Professor Werner Kunz auf dem Westdeutschen Entomologentag im November 2016 ist vielen Mitgliedern noch in bester Erinnerung: Die Erhaltung einer störungsfreien, unberührten Natur ist in Mitteleuropa in vielen Fällen nicht dazu geeignet, gefährdete oder aussterbende Arten zu retten. Offenländer sind die Biotope, an denen es heute mangelt. Wälder haben wir genug!
Was dem anwesenden Fachpublikum völlig klar war, stößt in der breiten Gesellschaft auf massiven Widerstand: Für ein Umdenken im Artenschutz fehlt das erforderliche Bewusstsein in der Bevölkerung! Großflächiges technisches Biotop-Management ist gegenwärtig politisch kaum durchsetzbar. Naturschutz-Verbände und der beamtete Naturschutz trauen sich offiziell – wider besseres Fachwissen – nicht an diese neue Praxis des Artenschutzes. Jetzt endlich ist zu diesem Thema das neue Buch von Werner Kunz Artenschutz durch Habitatmanagement: Der Mythos von der unberührten Natur auch einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich.

An dieser Stelle keine Rezension, sondern ein paar Sätze aus dem Vorwort, dabei geht es nicht um Werbung oder einen Verdienst, sondern um die dringend notwendige Verbreitung der Sache. Vielleicht hat der eine oder andere noch Zeit und Interesse sich das Werk unter den Weihnachtsbaum zu legen, als wichtigen Beitrag zur Debatte über die Zukunft des Natur- und Artenschutzes.

[ …Das Problem des gegenwärtigen Artenschwundes in Mitteleuropa kann nur unzureichend dadurch gelöst werden, dass bestimmte Habitate, in denen seltene Arten noch vorkommen, der Bewirtschaftung entzogen werden, zu Naturschutzgebieten erklärt werden und im Wesentlichen sich selber überlassen werden. Stattdessen müssen die unter Schutz gestellten Gebiete vor der Natur geschützt werden. Dazu ist ein ständiges Biotop-Management mit technischem Gerät erforderlich, das auf die Habitat-Bedürfnissen besonders gefährdeter Arten ausgerichtet ist und ihnen die erforderlichen Nahrungs- und Fortpflanzungsmöglichkeiten durch zum Teil massive Eingriffe in die Landschaft bereit stellt.

Aber gerade darin liegt das Problem. Für die Durchführung dieser Praxis des Artenschutzes fehlt das erforderliche Bewusstsein in der Bevölkerung. Das gefühlsmäßige Verlangen nach einer ungestörten Natur, die man in Ruhe lassen muss, ist weit verbreitet und ideologisch überhöht. Daher gibt es einen erheblichen Widerstand dagegen zu akzeptieren, dass viele Arten in Mitteleuropa eben nicht dadurch gefördert werden, dass man die Natur in Ruhe lässt. Beginnt man, für die Rettung gefährdeter Arten Bäume zu fällen, bestimmte Flächen partiell abzubrennen oder zur Rückgewinnung der verlorenen Heiden oder Trockenrasen auf großen Flächen den Mutterboden mit Forstmaschinen abzutragen, so sind die Proteststürme der Bevölkerung bereits vorprogrammiert. Die Maßnahmen werden als Naturzerstörung wahrgenommen (was sie ja auch sind) und erregen Unverständnis und Empörung. Das Empfinden, dass Natur- und Artenschutz eine Einheit bilden, sitzt dermaßen tief, dass eine rationale Aufklärung ergebnislos gegen Gefühle anzukämpfen hat. Daher ist ein großflächiges technisches Biotop-Management gegenwärtig politisch kaum durchsetzbar. Besonders in Deutschland sind die politischen Voraussetzungen mangels Aufklärung (auch seitens der Naturschutzverbände) nicht gegeben. Man kann nur behutsam in sehr kleinen Schritten vorgehen (wie das an der Basis bei einigen Ortsverbänden der Naturschutzvereine heute zu finden ist); aber dann kann es für manche Arten zu spät sein. …]

Werner Kunz –  Artenschutz durch Habitatmanagement: Der Mythos von der unberührten Natur – Mit einem Vorwort von Josef H. Reichholf. 314 Seiten, Wiley-VCH-Verlag, 2016

ISBN: 9783527342402 59,90 € bei Amazon oder Booklooker

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10 Antworten zu Artenschutz durch Habitatmanagement – Der Mythos von der unberührten Natur

  1. Pingback: Artenschutz durch Biotop-Management – warum nicht auch in Voislöhe?! | Moitzfeld Habitat

  2. Ich habe das Buch inzwischen gelesen. Darin werden wesentliche artenschutzfachliche Aspekte sehr tiefgründig diskutiert, die allgemein noch viel zu wenig Beachtung finden, oft mehrmals aus verschiedener Perspektive. Nur einige wesentliche Aspekte, die heute schon zu einem viel besseren Artenschutz führen können, werden nur marginal bespochen, ihre eminente naturschutzfachliche Bedeutung muss daher zusätzlich betont werden.
    So haben zweifellos verschiedene megaherbivore Arten in Mitteleuropa die Landschaft wesentlich gestaltet. Vor Ankunft des Menschen vor 40 000 Jahren Wildtiere, danach sukzessiv stärker menschliche Weidetiere. Die verheerende Bilanz des Artenschutzesew liegt auch daran, dass der Megaherbivoreneinfluss in der Landschaft, und in unseren Forsten erst heute weitgehend ausgeschaltet wurde.
    Hier im „Ländle“ wirkt sich das aktuell u.v.a. so aus: auf der Alb vor meiner Haustür ist das Haselhuhn jetzt ausgestorben, Trauerschnäpper, Gartenrotschwanz und Trauerschnäpper sehr selten geworden. Am Bodensee sind u.a. Raubwürder, Wiesenpieper, Steinkauz als Brutvögel verschwunden, die meisten Limikolen auch, die restlichen folgen bald nach, wenn sich naturschutzfachlich nichts ändert.
    Megaherbivore Arten sorgen auch durch Dung und Kadaver für eine ganz wesentliche Anreicherung der Insektenmasse. U.a. im Buch genannte Zielarten (alle 4 Würger, Pieper, Blauracke, Wiedehopf, die meisten Limikolenarten, Wachtelkönig) haben ihre Verbreitungsschwerpunkte in Gebieten mit naturnahem Herbivoreneinfluss, auch in den Überwinterungsgebieten ! Sie sind auf Mistkäfer (vor allem die größeren), uns auf Maden, Larven, Fliegen etc (die kleineren) angewiesen. Der Mensch mit seinen Maschinen allein kann das nicht ersetzen. Bei meinen aasökol. Studien staunte ich auch immer wieder, wie viele Schmetterlinge (von Bläulingen bis zum Großen Schillerfalter, auch Nachtfalter), Heuschrecken und Wildbienen sich am Aas, und an Kot zur Nahrungs- bzw. Nährstoffaufnahme einfinden.
    Ein gelungenes Beispiel (Maschinenbearbeitung und Megaherbivorie) ist z.B. die Urzeitweide Blaubeuren. Dort wurden auch schon Gänsegeier und Brachpieper beobachtet.

  3. Der Pferdefuß bei dieser Debatte ist die mangelnde Kenntnis dessen, was unter ursprünglicher Natur zu verstehen ist, und welche Maßnahmen notwendig sind, um wenigstens regional Verhältnisse zu schaffen, unter denen sich unsere heutige Biodiversität entwickeln konnte, und unter denen heute in Deutschland wieder eine höhergradige Biodiversität erreicht werden kann. Dazu sollten nicht überwiegend forstwirtschaftlich Ausgebildete zu Naturschutzfragen das Sagen haben, sondern vorwiegend Biologen und Naturschützer respektiert werden, die noch genügend Erfahrung sammeln konnten in Ökosystemen, in denen nicht ausschließlich der Mensch als einzige landschaftsgestaltende Art anerkannt wird (denn das führt in eine Sackgasse).
    Einkurzes Beispiel aus Baden-Württ. mag dies in einigen Punkten verdeutlichen:
    Im „Ländle“ sind alle wilden Megaherbivoren ausgerottet worden, mit Ausnahme des Rothirschs. Diese Art wird in einer permanenten Ausrottungsstrategie aber auf ca. 1,5 % der Landesfläche beschränkt, wo sie unter Bejagung als Trophäenlieferant missbraucht wird. Nirgends kann diese letzte wilde megaherbivore Art ihr ökologisch so wichtiges Potenzial entfalten. Sie wird in der Gesellschaft – leider auch noch in den meisten Naturschutz-NGOs, in denen ich Mitglied bin – vielleicht neben Filzlaus und Wanderratte – als „Schädling“ instrumentalisiert, leider sehr zum Nachteil der Biodiversität (dabei werden angeblich waldwirtschaftlich nützliche Wilddichten mit naturschutzrelevanten, zur Förderung der Biodiversität nützlichen Wilddichten gleichgesetzt, was naturschutzfachlich keineswegs förderlich ist).
    Ausgeglichen werden könnte dieser Mangel wenigstens lokal durch naturnah etablierte wirklich extensive Ganzjahres-Weideflächen, in größeren zusammenhängenden Gebieten (mindestens 50 ha). Die Besatzdichte an Megaherbivoren muss dann aber laufend an Naturschutzziele angepasst werden.
    Ein solches Biotopmanagement könnte z.B. das völlige Aussterben der Brutpopulationen der meisten Limikolen um den Bodensee verhindern (die Bekassine hat in den letzten 20 Jahren von ca. über 200 BP auf noch ca. 2-3 abgenommen, bei weiteren Arten sieht es ähnlich aus). Wenn auch die schönste Orchideenwiese durch Mahd erhalten werden kann (wenn eine Art von 50 Ex/ha auf 500 Ex/ha vermehrt werden kann, ist das noch lange kein „natürlicher“ Zustand), nimmt nach zahlreichen neuen Untersuchungen (Mahd kontra extensive Beweidung) die Biodiversität insgesamt doch gewaltig ab. Literatur dazu gibt es inzwischen reichlich, liefere ich gerne nach.
    Der überragende Nutzen von extensiven Weidesystemen zur Förderung der Biodiversität ist inzwischen in zahlreichen Publikationen dokumentiert worden. Dass diese erstklassigen Maßnahmen im Südwesten Deutschlands noch nicht in größerem Ausmaß genutzt werden konnten, liegt u.a. an Bedenkenträgern, nicht nur von Seiten der Behörden, sondern auch von Naturschützern, die einige wenige Lieblingsarten zu sehr instrumentalisieren. Wenn sich dieser Tunnelblick verfestigt, werden wir im naturschutrzfachlichen Bereich auf einen hinteren europäischen Rang sinken. Von anderen europäischen Ländern (Niederlande, Spanien, Ungarn u.a.) können wir in dieser Hinsicht schon viel lernen.
    Dieter Haas

  4. Ich kenne das Buch nicht, habe großen Respekt vor der Arbeit Reichholfs, der Ausschnitt hier lässt aber vermuten, dass die Probleme, nicht in Gänze erfasst werden. Wir haben keinen Artenschwund wegen des Mangels von integrativem Naturschutz in Naturschutzgebieten, sondern weil Naturschutz nicht oder mangelhaft in Land- und Forstwirtschaft integriert sind. Plus Flächenverbrauch und damit verbundene Isolation. Richtig ist auch, und mit der Haltung sind wir als BUND leider noch allein auf weiter Flur, während das Landesumweltministerium auf dem Holzweg verharrt, dass Wildnisentwicklung (siehe neue Schutzkategorie Wildnisentwicklungsgebiete im LNatschG) sich eben nicht auf potenziell natürliche Vegetation reduzieren kann/darf. Denn die hat in der Tat mit der Diversität ursprünglicher Natur auch nichts zu tun. Übrigens kann ich mehrere Beispiele nennen dafür, dass großflächiger technischer Einsatz zu häufig beim Natur/Artenschutz scheitert, weil sich damit allein nicht die so wichtigen unterschiedlichen Sukzessionsstadien mit fließenden Übergängen abbilden lassen.
    Wir gehen als BUND erstmal mit gutem Beispiel voran: mit Beweidung, mit Mahd, mit Waldökosystemen ohne Jagd statt Baumplantagen mit „Wildmanagement“ etc. Und gerade in NRW mit dem Faktor Mensch: die verstehen erstmal nicht, warum wir Bäume umhauen und Rohböden schaffen, aber sie verstehen es, wenn wir es ihnen erklären. Weil sie nämlich auf Heide- und Ginsterblüte mehr stehen als auf langweilige Buchenforste. Und dann machen sie selber mit! Tue Gutes und rede drüber! Da ist es eine fehlleitende Diskussion, unterschiedliche Naturschutzstrategien gegeneinander auszuspielen anstatt sie miteinander zu kombinieren.

  5. Ich kann den Vorrednern nur zustimmen: Die PR ist etwas zu gross geraten. Die Konflikte samt Lösungen sind seit Jahren bekannt. Was fehlt, ist eine entschiedene Lobbyarbeit, die der Politik sagt, wo es lang geht. So wie jetzt beim Refit-Verfahren der EU. Themen wären: eine Eingriffsregelung, die den Namen verdient samt hochwertiger Maßnahmen, die für die Durchführenden auskömmlich sind, Einmischung in Gesetzesvorhaben (BNatSchG, BauGB, UVPG etc.), massive Unterstützung von Nutzern von Extensivbereichen, neue und alte Ideen für Störstellen- und Brachenmanagement usw. Gerade in NRW müssen die Aktiven sich weiter organisieren! Neben BUND und NABU gibt es auch den BBN, der sich als Berufsverband nicht scheut, die Konflkte beim Namen zu nennen. Wir sind zu finden unter http://www.bbn-online.de. Anfang 2017 gibt es hier wieder einen Workshop des AK Natura 2000, Biodiversität u. A+B-Schutz (März, voraussichtlich Hannover).

    • Armin Dahl sagt:

      Hallo Rainer,
      Du kannst Dich ja sicher aus Deiner Zeit in NRW noch erinnern wie das hier läuft. Die Fachebene hat wegen mir die notwendige Ahnung, die Politik keine E… Und Verbandswerbung ist ungefähr das letzte was wir hier brauchen.
      Grüße
      Armin

  6. Ich werd mir das Buch mal anschauen, so oberflächlich betrachtet klingt es ersteinmal nach dem PR wirksamen Darstellen von normalen Zielkonflikten, die aber Tag täglich gelöst werden. Und ja, auch mal gegen den Willen einzelner Personen in den Verbänden, auch mal mit Unverständnis bei der Bevölkerung vor Ort. Das ist manchmal schwer, aber unvermeidbar. Ich freu mich mehr über praktikable Lösungen…

    • Armin Dahl sagt:

      Tut mir leid, aber gelöst ist leider so gut wie garnichts. Hier in NRW geht das Verschwinden der Arten munter weiter, und die Verantwortlichen bis hinauf zum Umweltminister haben – dezent formuliert – einen ziemlich undifferenzierten Waldfimmel. Die Lösungen liegen offen auf der Hand, müssen aber endlich mal raus aus der akademischen Ecke. Da schadet ein wenig PR nicht.

  7. Die Konfrontationslinie verstehe ich nicht: Wo sind denn diese Naturschutzverbände, die nicht verstanden hätten, dass artenreiches Grünland, Obstwiesen, Heiden, Niederwälder, mitunter auch offene Naturfelsen … der Pflege bedürfen?
    Es ist doch unzweifelhaft, dass wir beide Strategien brauchen, dynamische, selbstständige Auen und Wildnisgebiete ebenso wie differenziert / fachkundig gepflegte Kulturbiotope.
    Die mir bekannten Konflikte in diesem Kontext entstanden, wenn Forstflächen für die neue Heide mitten im Sommer gerodet wurden, Altbuchen einem neuen Niederwald weichen sollten, dessen Pflege aber gar nicht gesichert ist und wenn im Vorfeld die räumliche Gesamtkonzeption (wo wird welche Strategie in welchem Kontext verfolgt) nicht hinreichend abgestimmt wurde. Da fehlen z. B. in NRW die flächendeckende Umsetzung der Landschaftsplanung als fachliches Steuerungsinstrument und eine Beteiligung der Naturschutzverbände bei der Anerkennung größerer, vorlaufender Ökokontomaßnahmen.

    • Armin Dahl sagt:

      Verstanden haben es die Fachleute schon, sie wollen es nur nicht laut sagen. Hinter vorgehaltener Hand kann man von den einen oder anderen sehr wohl hören dass man als Naturschutzverband (BUND ausdrücklich ausgenommen) seine Mitglieder verlieren würde, falls man sich lautstark für rustikale Entwicklungsmaßnahmen oder auch nur Verkehrssicherung einsetzt.

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