Oh Mosella – Spätsommer-Falter von der Untermosel

Einer der entomologisch besten Felshänge an der Mosel ist der nach dem gallischen Dichter Decimus Magnus Ausonius benannte Ausoniusstein auf Gemarkung Lehmen. Dort leben bis heute viele der wärmeliebenden Spitzenarten Westdeutschlands. Ein Exkursionsbericht.


So liebe ich Ausflüge an Stellen, an denen ich vorher noch nie gewesen bin: Sonnenschein, eine herrliche Aussicht über das Tal, und gleich eine neue Art! Keine zwei Minuten saß ich auf dem Bänkchen am Aussichtspunkt in der Nähe des Ausoniussteins, da flatterte schon ein größerer Nachtfalter über die Wiese, der sich auch zu einem Fototermin überreden ließ: Selidosema brunnearia, eine der größten Raritäten unter den einheimischen Geometriden. Der Purpurgraue Heide-Tagspanner ist ein echter Trockenrasen-Bewohner, und besiedelt nur ein kleines Areal entlang von Mosel, Mittelrhein und Nahe.

Xerotherme Hänge wie der oberhalb des Weindörfchens Kattenes an der Mosel bieten nicht nur Berühmtheiten wie dem Apollofalter (Parnassius apollo) Lebensraum, hier leben auch die geheimen Stars der Schmetterlingsforschung, unscheinbare, versteckt lebende Falterarten, denen aber eines gemeinsam ist: Heiß muss es sein, trocken und voll sonnenexponiert, am besten mit ordentlich Felsen zur Wärmespeicherung, und mit möglichst wenig Niederschlag.
Alles das findet sich an der Untermosel an etlichen Stellen. Freistehende Schieferfelsen speichern die Wärme, Eifel und Hunsrück halten den Regen ab, die Felshänge sind selbst für den Weinbau zu steil.

Nach etlichen Exkursionen an die Mittelmosel war der Besuch am Ausoniusstein schon lange überfällig. Der Felshang hat seinen Namen nach dem Dichter Decimus Magnus Ausonius, dessen Reisebeschreibung „Mosella“ aus dem Jahr 375 nach Christus bis heute wohl das berühmteste Moselgedicht ist. Wer Spaß an fast 500 schwülstigen lateinischen Hexametern hat ist mit Ausonius gut bedient, im Gedicht wimmelt es unter anderem von Flußnixen und bocksfüßigen Satyren, der aus Burgund stammende Gallier war an den essbaren Fischen der Mosel deutlich stärker interessiert als am Wein. Und er kannte offenbar nur die Obermosel zwischen Neumagen und Trier, hat also den nach ihm benannten Felsen nie selbst gesehen.

Mein Interessa galt heute eher den Satyriden (Augenfalter), so scheint sich der Weiße Waldportier, Brintesia circe (FABRICIUS, 1775) nach jahrzehntelangem Fehlen wieder an der Mosel zu etablieren. Die Ausbeute an Tagfalter-Beobachtungen an diesem Nachmittag war jedoch überschaubar, Kaisermantel, Kleiner Feuerfalter, etliche Mauerfüchse der 2. Generation, Große Kohlweißlinge in Menge: Waldportier-Beobachtungen an der Mosel sind aktuell noch das Ergebnis von langen Geländemärschen oder vielen Stunden Feldarbeit, oder reine Glückssache. Und der bewegungsfaule Nachtfaltermensch kann nicht erwarten dass ihm einer direkt vor die Aussichtsbank flattert.

Der abendliche Lichtfang fand dann bei besten Wetterbedingungen statt, bedeckter Himmel, leichter Wind, nachts um 1.00 Uhr noch 18°C warm. Nur der Vollmond störte das Vergnügen, dafür gab es herrliche Lichtspiele über dem Moseltal zu sehen. Mit etwas über 40 Großschmetterlingsarten war der Anflug an Licht und Köderschnüre mäßig, der Wechsel zwischen Sommer- und Herbsttieren schlägt sich in vergleichsweise niedrigen Artenzahlen nieder. Aber wie bereits am Vormittag waren wieder wärmeliebende Spitzenarten wie der kleine Fetthennen-Felsflur-Zwergspanner Idaea contiguaria (HÜBNER, [1799]) und die noch seltenere Berberitzeneule Auchmis detersa (ESPER, 1787) zu sehen. Dazu fanden wiederum etliche S. brunnearia den Weg an Licht und Köder, ebenso wie eine Grassteppen-Bodeneule – Peridroma saucia (HÜBNER, [1808]), ein Wanderfalter aus dem Süden.
Erwähnenswert ist noch das durchgehende nächtliche Konzert der Heuschrecken: Weinhähnchen (Oecanthus pellcens) sind am Ausoniusstein sehr häufig, und auch die Steppen-Sattelschrecke (Ephippiger ephippiger) kommt dort vor.

Der Ausoniusstein mit seinen blütenreichen Trockenrasen ist also immer noch, wie schon seit vielen Jahrzehnten bekannt, ein Spitzenplatz für wärmeliebende Insektenarten. Aber hier wie auch an vielen anderen Plätzen entlang der Mosel schreitet der Wald voran, und die so wertvollen „nackten“ Standorte werden immer kleiner, verbuschen und verschwinden im Wald. Hier gilt es rechtzeitig gegenzusteuern, damit Apollofalter, Berberitzeneule und andere relikthaft verbreitete Formen dort auch langfristig überleben können.


Das ca. 31 ha große Naturschutzgebiet befindet sich auf der Gemarkung von Moselsürsch, einem Ortsteil von Lehmen. Es wurde von der Bezirksregierung Koblenz per Rechtsverordnung vom 15. August 1984 ausgewiesen und trägt die Gebietsnummer 7137-017. (Rechtsverordnung)

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