Die Helle Pfeifengras-Grasbüschel-Eule und das Sommerloch

Nicht alles was in der Zeitung steht muss stimmen! Im Fall von Pabulatrix pabulatricula hätte ein bisschen mehr Recherche gut getan.

Eine kleine faunistische Sensation treibt die Kollegen in Bayern um: in einem Wald bei Wiesentheid in Unterfranken östlich von Würzburg ist Pabulatrix pabulatricula aufgetaucht, die „Helle Pfeifengras-Grasbüscheleule“. Die Kollegen von der Uni Würzburg, die dort die Fauna erfassen, diktierten der Deutschen Presseagentur (dpa)  in den Block:

„in einem Eichenwald in Unterfranken haben Wissenschaftler einen als in Mitteleuropa ausgestorben geltenden Nachtfalter entdeckt. [….]  Der Nachtfalter verschwand demnach vor 100 bis 150 Jahren aus den mitteleuropäischen Wälder […] Der erste überraschende Fund eines Exemplars gelang den Angaben zufolge im Juli 2019, inzwischen seien bei gezielten Suchaktionen im Sommer 2020 gleich mehrere Exemplare des seltenen Falters nachgewiesen worden.“

Der Sensationsfund wurde landauf landab in den Zeitungen abgedruckt, und schaffte es sogar auf die Webseiten des Bayerischen Rundfunks und von seriösen Medien wie Deutschlandfunk Nova. Insekten die aussterben und wieder auferstehen, und das auch noch ausgerechnet in Bayern, das ist ein toller Füllstoff für das Sommerloch!

Was nun die angeblich ausgestorbene Eulenfalter-Art angeht, so ist die Aussage definitiv falsch: Pabulatris pabulatricula war in Deutschland keineswegs ausgestorben!

Schon ein vorsichtiger Blick in die beiden Standardwerke zur Lepidopterenfauna Deutschlands hätte gereicht, um die für eine Uni wie Würzburg ziemlich peinliche Pressemitteilung richtigzustellen: In GAEDIKE et al. (2017) wird die Art als rezent in Niedersachsen [NI] und Sachsen-Anhalt [ST] angegeben. Und in STEINER et al. (2014: 565) lesen wir: „Die Art war früher aus allen Bundesländern bekannt, ist aber selten geworden und mit Ausnahme von NI und ST (Einzelfund) wohl überall ausgestorben.“

Und weil Eigenwerbung ja nicht so besonders beliebt ist, sei nur an Rande darauf verwiesen, dass es über das Vorkommen von P. pabulatricula südöstlich von Lüneburg in Niedersachsen eine ausführliche Publikation von Hartmut Wegner gibt, in der Melanargia, 26 (2): 45-98. Dort beschreibt der Autor das Vorkommen von pabulatricula im Staatsforst Göhrde, dem größten zusammenhängenden Mischwaldgebiet Norddeutschlands in den Landkreisen Lüchow-Dannenberg und Lüneburg. Dort sind auch zahlreiche genaue Einzeldaten aufgeführt, der letzte von 2009.

Laut Roter Liste der BRD werden Vorkommen vor 2000 als ausgestorben/verschollen definiert. Der bisher letzte publizierte Nachweis von pabulatricula erfolgte 2009. Diese Art gilt demnach noch nicht als verschollen, auch wenn WEGNER 2012 keine Falter mehr nachweisen konnte. In der Methodik der Roten Listen (LUDWIG et al. 2009) heißt es „Die Mindestzeit, ab der eine Art bei vergeblicher Nachsuche als verschollen gilt, ist nicht für alle Organismen gleich. Entsprechend der bisherigen Praxis wird für Pflanzen und Pilze ein Mindestzeitraum von 40 Jahren, für wirbellose Tiere von 20 Jahren und für Wirbeltiere von 10 Jahren empfohlen.“ So war´s also nichts mit ausgestorben!

Kriterium „Ausgestorben“ aus LUDWIG et al. (2009)

Und was lernen wir daraus? Nun, es gibt es Kenner der Materie, die behaupten, dass Nordost-Niedersachsen nicht wirklich zu Mitteleuropa gehört. Aber das ist auf den ersten Blick als Satire zu erkennen. Also Spaß beiseite!

Zum einen lernen wir, daß die Datenlage in Niedersachsen bescheiden ist. Verglichen mit anderen Bundesländern sind kaum ältere Feldbeobachtungen in digitaler Form verfügbar. Die Experten sitzen zwar auf Bergen von Karteien und Protokollen, leider ist kaum etwas davon in Datenbanken erfasst. Es nutzt jedoch niemandem, wenn man seine Daten mit ins Grab nimmt! Ob sich jemals eine Institution oder ein Personenkreis findet der das Versäumte nachholt, darf stark bezweifelt werden. Aggregations-Portale wie die Webseite Schmetterlinge Deutschlands sind nur so gut wie die Daten die von den Regionen zugeliefert werden.

Zum anderen kann man nur hoffen daß die StudentInnen in den Zoologie-Lehrstühlen das wissenschaftliche Recherchieren beigebracht bekommen, und nicht nur mit „Pareys Insektenführer“ durch die Wälder ziehen. Wenigstens einen Blick in die Standardliteratur zur Artengruppe könnte man erwarten, bevor man – unbestritten sehr wertvolle! – Wiederfunde an die große Glocke hängt.

Der Presseagentur kann man keinen großen Vorwurf machen, dort ist keinerlei Expertenwissen vorhanden. Der Vorfall zeigt einmal mehr, wie wichtig es ist, Funde und Daten zu publizieren oder zumindest einer Datenbank zur Verfügung zu stellen.

Text: Heinz Schumacher und Armin Dahl

Literatur

BINOT-HAFKE, M., S. BALZER, N. BECKER, H. GRUTTKE, H. HAUPT, N. HOFBAUER, G. LUDWIG, G. MATZKE-HAJEK & M. STRAUCH (RED.) (2011): Rote Liste gefährdeter Tiere, Pflanzen und Pilze Deutschlands Band 3: Wirbellose Tiere (Teil 1) Naturschutz und Biologische Vielfalt 70 (3). Bonn

GAEDIKE, R., NUSS, M., STEINER, A. & TRUSCH, R. (Hrsg.) (2017): Verzeichnis der Schmetterlinge Deutschlands (Lepidoptera). 2. überarbeitete Auflage. – Entomologische Nachrichten und Berichte (Dresden), Beiheft 21: 1-362.

LUDWIG, G.; HAUPT, H.; GRUTTKE, H. & BINOT-HAFKE, M. (2009): Methodik der Gefährdungsanalyse für Rote Listen. – In: Haupt, H.; Ludwig, G.; Gruttke, H.; Binot-Hafke, M.; Otto, C. & Pauly, A. (Bearb.): Rote Liste gefährdeter Tiere, Pflanzen und Pilze Deutschlands. Band 1: Wirbeltiere. – Münster (Landwirtschaftsverlag). – Naturschutz und Biologische Vielfalt 70 (1): 19-71.

STEINER, A., RATZEL; U.,  TOP-JENSEN, M. & FIBINGER, M. (2014): Die Nachtfalter Deutschlands – Ein Feldführer. – Ostermarie (Bugbook Publishing). 878 S. 76 Farbtafeln

WEGNER, H. (2014): Eremobina pabulatricula (BRAHM, 1791), Diarsia dahlii (HÜBNER, 1813) und weitere bemerkenswerte Eulenfalter in den Wäldern Nordost-Niedersachsens – Beobachtungen zur Habitatpräferenz (Lep., Noctuidae).  zum Download

 

 

Dieser Beitrag wurde unter Daten, Literatur, Seltene Arten veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

6 Antworten zu Die Helle Pfeifengras-Grasbüschel-Eule und das Sommerloch

  1. Frank Rosenbauer sagt:

    Ich würde in die Pressemitteilung nicht zu viel generelles hineininterpretieren. Das Wesentliche bleibt meiner Meinung nach, dass die Entdeckung einer rezenten (und da in der Göhrde keine Nachweise mehr erfolgten, vermutlich einzigen) pabulatricula-Population in Deutschland sensationell ist (ich wünschte sie wäre mir gelungen 😉
    Ich bin nun auf weitere Informationen/Publikationen über den Lebensraum gespannt. Warum hat sich diese Art ausgerechnet dort gehalten? Wie leben die Raupen (wirklich monophag an Pfeifengras?)?

  2. Jörg Müller sagt:

    Die Kritik an der Verwendung des Begriffs „ausgestorben“ ist berechtigt. Allerdings kam es dazu nicht durch oberflächliche Arbeit von Biologen an der Universität wie von Herrn Laußmann vermutet, sondern durch den laxen Umgang mit dem Begriff durch unseren taxonomischen Nachtfalter Experten Hermann Hacker. Aus Sicht eines Naturschutzbiologen wäre sicher „nahezu ausgestorben“ besser gewesen. In unseren Projekten arbeiten akademische Forscher und die oben aufgeführten „Hobby-Forscher“ häufig eng zusammen. Ich hoffe trotzdem, dass seltene Insektenarten und ihr Erhalt mehr mediales und gesellschaftliches Interesse finden und Manager dafür begeistert werden.

    • Armin Dahl sagt:

      Ich finde das Beste an der Nachricht ist die Tatsache dass die Art dort überhaupt wieder aufgetaucht ist. Die fällt ja nicht mal eben vom Himmel, sondern muss dort seit langer Zeit unter der Nachweisschwelle gelebt haben. Das lässt hoffen, vielleicht kommt die Art auch an anderen Stellen wieder.

    • Tim Laußmann sagt:

      Lieber Herr Müller,

      Da verstehen Sie meinen Kommentar vollkommen falsch. Mit keinem Wort habe ich hier eine Nachlässigkeit vermutet – das betrifft wohl eher den Blogbeitrag selbst. Ich bin nur der Meinung, dass die akademischen Forscher und die „Hobby Entomologen“ mehr zusammen arbeiten sollten als das bisher der Fall ist. Aufeinander losgehen – das meine ich in beide Richtungen – wird uns definitiv nicht weiter bringen. Vielmehr müsste an den Unis allgemein wieder mehr Artenkenntnis vermittelt werden und die entsprechenden Lehrstühle wieder geschaffen werden. Was meinen Sie dazu? Umgekehrt habe ich mich schon daran gewöhnt, dass unsere Hobby – Beiträge beim Entomologentag eher belächelt und allenfalls als doch gar nicht so schlecht angesehen werden. Wenn eine gute Zusammenarbeit bei Ihnen besteht, ist das doch prima!

      Was den Artenschutz angeht haben die Hobby Entomologen viel weniger politisches Gewicht als die akademische Forschung. Nur: werden denn rein faunistische Untersuchungen überhaupt mit Geld ausgestattet? Ist das nicht alles viel zu deskriptive Forschung, die keinen interessiert? Ist das nicht einer der Gründe warum man mit Kartierungsarbeit an den Unis keinen Blumentopf gewinnen konnte? Im Endergebnis haben wir nun nicht genügend Daten, um der Politik zu beweisen, dass wir ein massives Artenschutzproblem haben. Wo ist die breite Front von Universitätsprofessoren, die gegen die nachlässige Artenschutzpolitik opponiert? Damit meine ich nicht Sie und auch nicht die anderen „üblichen Verdächtigen“ die sich seit Jahren bemühen. Würden Sie sich nicht auch mehr Kollegen wünschen, die unsere gemeinsame Sache unterstützen?

      • Jörg Müller sagt:

        Lieber Herr Laußmann

        Wir sind da vollkommen auf einer Linie. Ich werde mich auch in der Zukunft immer dafür einsetzen, dass es viel mehr engen Schulterschluss zwischen den vielen echten Artenprofis im Amateurbereich und der akademischen Welt gibt. Neue Trends wie Barcoding oder die Diskussion ums Insektensterben haben die Zunft der Taxonomen und Faunisten deutlich belebt. Es werden jetzt sogar wieder Professuren in die Richtung ausgeschrieben. Wir müssen jetzt nur dran bleiben!

  3. Tim Laußmann sagt:

    Leider sieht man an diesem Beispiel die meiner Meinung nach immer noch strikte Trennung von akademischer Forschung und so genannter „Hobby-Forschung“. Andere Länder wie Großbritannien machen es vor, wie man in gegenseitiger Wertschätzung zusammen arbeiten kann. Das wäre für alle Seiten hilfreich! Alle müssen an einem Strang ziehen. Leider hat sich die Biologie an vielen Unis von der Ökologie, der Faunistik und Taxonomie weitgehend verabschiedet. Schade. Dennoch: Fehler können passieren und mache Meldung erfährt eine überraschende Eigendynamik.

Kommentare sind geschlossen.