Mit Selfie-Stick und Fernglas im Tunnel

Selbstporträt mit Durchblick. 1. November 2020

Passend zu Halloween hier mal eine kurze Abhandlung über einen schaurig-schönen Fundort in Düsseldorf, den die einheimischen FalterforscherInnen regelmäßig besuchen. Zum Beobachten gehören neben guten Nerven allerdings ein wenig Spezialausrüstung.

Im Südosten Düsseldorfs gab es früher ein unter Sammlern und Beobachtern bekanntes Gebiet, das wahlweise und je nach Startpunkt der Exkursionen den Namen „Eller“, „Vennhausen“, oder auch „Hildener Heide“ trug. Aus alten Aufzeichnungen ist bekannt, dass dort früher ein Sumpfgebiet lag, das von Düsseldorf-Unterbach über Gerresheim bis nach Mörsenbroich reichte.

Die gesamte Region ist allerdings mehrfach kräftig überformt worden, der heutige „Eller Forst“ ist umgeben von Baggerseen, durchschnitten von zwei Autobahnen, der Bahnlinie Köln-Düsseldorf, der heutige Ortsteil Vennhausen liegt auf den ehemaligen Moorböden der Randsenke. Reste der ehemaligen Bergischen Heideterrasse finden sich nur noch entlang der Leitungstrassen von Bahn und Gaspipelines und unter Stromleítungen.

Der ehemalige Sumpf wurde entwässert und aufgeforstet, der Rest der Fläche ist entweder bebaut oder verwaldet. Dazu kommt eine extreme Frequentierung als Naherholungsgebiet, an schönen Sommertagen kämpfen Radfahrer, Reiter und Fußgänger um den Platz auf dem eh schon dichten Wegenetz. Kein Platz an dem man große Erwartungen an die Falterfauna haben sollte.

Großer Frostspanner – Erannis defoliaria, auf bröckelndem Grafitti. Düsseldorf, 1. November 2020 (Foto Armin Dahl)

Trotzdem suchen die Düsseldorfer „Lepidioten“ den Eller Forst regelmäßig auf, Ziel ist ein besonders schauriger Platz, die – gut beleuchtete – Unterführung der Autobahn A46. Gute 50 Neonröhren, die Tag und Nacht brennen, und das schon seit etlichen Jahrzehnten: Hier kann man praktisch ganzjährig Falter beobachten, die vom Licht aus dem umgebenden Wald angelockt werden und im Tunnel an den Wänden sitzen. Der Besuch des Tunnels ist allerdings nichts für schreckhafte Menschen, man begegnet dort schon auch mal ein paar Obdachlosen, die Schutz vor dem Regen suchen, Leute bieten fragwürdige Dienstleistungen an, und nachts sind Sprayer unterwegs und verzieren die Wände.

Herbstfalter, schlecht getarnt: Colotois pennaria, Düsseldorf, 1. November 2020 (Foto Armin Dahl)

Aber was tut man nicht alles für Hobby und Wissenschaft! Der Tunnel ist knapp fünf  Meter hoch und die wenigsten Falter sitzen auf Augenhöhe. Wer dort beobachten will, braucht neben einer soliden Taschen- oder Stirnlampe erst einmal ein Fernglas, das sich auf kurze Entfernungen scharf stellen lässt. Ich habe dazu ein Glas der Firma Pentax im Handschuhfach, das sinnigerweise den Namen „Pentax Papilio“ trägt. Das stellt bis auf 50cm scharf und ist extrem praktisch für Beobachtungen von Tagfaltern, Libellen und anderem Kleinzeugs.

Weiter nehme ich im Tunnel das Mobiltelefon mit, bzw. die darauf installierte App von observation.org, zum Dokumentieren der Falter und anderer Funde wie Schnecken, Käfern und Spinnen. Und weil die Tiere immer dort sitzen, wo man gerade nicht mehr hinkommt, benutze ich fürs Fotografieren das Handy über einen ordinären Selfie-Stick.  So kann ich, ohne mich in den Dreck zu knien, die bodennah sitzenden Falter fotografieren und auch mal bis in 2,50 Höhe sitzende Tiere „am langen Arm“ ablichten. Die Qualität der Fotos spielt da erstmal keine große Rolle, die App bestimmt in aller Regel auch unscharfe Belegfotos richtig.

Ergebnis einer halben Stunde Tunnelkunde: Über 100 Halloween-Falter im Protokoll-Screenshot der iobs-app, 1. November 2020

Das ganze Unternehmen sieht wohl ein wenig anrüchig aus, vielleicht glauben die Passanten dass ich dort die Graffitis inspiziere oder irgendwas unanständiges tue. Spaziergänger, Jogger und Fahrradfahrer drücken sich jedenfalls meist schnell vorbei, niemand will wissen was ich dort eigentlich genau mache, mit Fernglas Lampe und dem Handystock. Das ist mir an dieser Stelle aber auch herzlich egal, wichtig ist allein die Ausbeute: Spätherbst ist im A46-Tunnel die beste Zeit, an manchen Tagen sind dort hunderte von Faltern zu finden, und weit über 100 Großschmetterlingsarten haben wir dort insgesamt schon nachgewiesen, vom Ulmen-Zipfelfalter bis zu schönen Nachtfaltern wie dem Weißen Zahnspinner Leucodonta bicoloria.

Sphinxeule – Asteroscopus sphinx. Auf blau gekacheltem Untergrund hilft die schönste Tarnfärbung nichts. Düsseldorf, 1. November 2020 (Foto Armin Dahl)

Wichtig ist der Platz auch deshalb, weil man dort die regionalen Flugzeiten der Falter so schön verfolgen kann. Star des Tunnels im November ist die graue, zottig behaarte Spinx-Eule Asteroscopus sphinx, von der man in einem Durchgang durch den A46-Tunnel schon mal 40 Tiere und mehr beobachten kann.

Die Kehrseite der Medaille ist natürlich die starke Lockwirkung der Tunnelbeleuchtung  auf die Nachtfalter der Umgebung. Gerade Tiere von A. sphinx sitzen oft tagelang auf einem Fleck und bewegen sich nicht von der Stelle, anstatt sich „ordentlich“ fortzupflanzen. Ein Heer von Spinnen rund um die Lampen bedient sich außerdem an den anfliegenden Insekten.

Mal ganz abgesehen von dem unsinnigen Stromverbrauch, der mit etwa 1800 Watt x 24h x 365 Tagen bei über 15.000 Kilowattstunden pro Jahr liegt. Würde der A46 Tunnel mal auf moderne LED-Technik umgerüstet, hätte man das (Steuer-)Geld für den Betrieb der Lampen sicher in wenigen Monaten eingespart. Und statt zu Düsseldorfs größter Lichtfalle zu pilgern, müssten wir uns einen neuen Platz suchen.

Links:

Beobachtungen des Autors auf observation.org/

Schulungsvideo: NRW.Observation.org | Online-Kurs | Teil 1

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3 Antworten zu Mit Selfie-Stick und Fernglas im Tunnel

  1. Jörg Siemers sagt:

    Wenn ich das lese, denke ich mit Wehmut zurück an die alte Fußgängerunterführung am Bahnhof Blankenheim-Wald in der Eifel: nach Urin stinkend und auch sonst uzzelig, aber ebenfalls mit alten Leuchtstoffröhren bestückt und entsprechend lepimäßig ergiebig, der perfekte Startpunkt für Exkursionen, wenn man mit dem Regionalexpress in die Eifel fuhr: https://naturgucker.de/?bild=-1171947878 . Alle Tagfunde waren dann „nur“ noch das Tüpfelchen auf dem i 🙂
    Im Zuge der Erneuerung des Bahnhofs Blankenheim-Wald 2018 ist die Bahnunterführung abgebrochen und durch eine schön-ordentlichen Neubau mit moderner Beleuchtung ersetzt worden. Das ist zwar sicherlich sinnvoll im Sinne der Lichtverschmutzungsreduktion, aber Nachtfalter findet man dort seitdem nur noch einzelne.

  2. Karl-Heinz Jelinek sagt:

    Sehr schön geschrieben! Hast Du von den Epirrita-Faltern mal welche mitgenommen? Eine genau Artbestimmung wäre hilfreich für die Fauna!

    • Armin Dahl sagt:

      Ja, vor ein paar Jahren habe ich mal einige Falter mitgenommen und abgepinselt. dilutata war die häufiste, wenn ich mich recht erinnere. Natürlich sollte ich das regelmäßiger machen. Für einen schnellen Sprung ins Gelände ist mir das aber zu aufwändig.

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