
Auszug aus dem FFH-Bericht 2019
Der FFH-Bericht zum Zustand der Tier- und Pflanzenarten spricht eine klare Sprache: Den Schmetterlingen geht es schlecht. Viele Menschen sagen: Das ist eine traurige Sache, „da muss man was tun“. Die Experten bewegen sich in einer „Schmetterlings-Blase“, das klare Bekenntnis der Politik zum Naturschutz fehlt noch immer, Behörden können beim Aussterben oft nur zuschauen.
Ein Meinungsbeitrag von Tim Laußmann
Natürlich tun wir in unseren Vereinen seit vielen Jahrzehnten etwas: Vorträge halten, Artikel schreiben, Blogbeiträge posten, Bücher verfassen, auf die Probleme in der industriellen Land- und Forstwirtschaft hinweisen, extensiv gepflegtes Offenland fördern, wo immer es geht. Wir berichten uns in unserer „Lepidopterologen-Blase“ gegenseitig, wo die Probleme liegen. Viele von uns haben sich für kleinere und größere Projekte auf lokaler Ebene eingesetzt und tun dies immer noch. Oftmals stieß man auch auf Widerstand aus der Lokalpolitik – Ökonomie und Ökologie wurden gerne gegeneinander ausgespielt – und: letztlich endet alles beim Geld.
Fangen wir deshalb beim Geld an: Haben die Biostationen (oder vergleichbare Institutionen, wenn überhaupt vorhanden) genug Geld? Sind dort in ausreichender Anzahl fachkundige Personen dauerhaft angestellt? Ist genug Geld für professionelle Biotoppflege vorhanden? Können „Schutzzonen“ um wertvolle Lebensräume aufgekauft werden? Wer koordiniert das Ganze: Bund, Land oder Kommune? Oder läuft das nach dem Motto: machst Du es nicht oder lass ich es liegen? Sicher können wir weiter auf lokaler Ebene mit Ehrenamtlern und engagierten Biostationen Biotope erhalten. Aber das steht und fällt mit einzelnen Personen, sowohl an den Biostationen als auch in den Vereinen.
Daher frage ich mich seit Jahren: Wo ist der große Wurf, wo das klare Bekenntnis der Politik zum Naturschutz, das Geld für echte Veränderungen? Werden „Naturschützer“ immer noch als störend empfunden, als Querulanten mit Außenseiterhobby? Leute, die ja nur diese und jene Viecher schützen wollen, damit sie ihrem Hobby nachgehen können, aber dabei dem neuen Industriegebiet auf der grünen Wiese im Weg stehen? Ich meine, der Schutz der Natur und der Artenvielfalt muss eine allgemein anerkannte Gesellschaftsaufgabe sein!
Ja, ich liebe Schmetterlinge. Ich will nicht, dass sie verschwinden. Daher hier zwei Beispiele weshalb ich meine, dass es mit „kleinen, lokalen Projekten“ alleine nicht mehr getan ist:
Der Dukatenfalter:

Lycaena virgaureae, Dukatenfalter, 13.07.2020 Kahler Asten (Foto: Tim Laußmann)
Jeden Frühling plane ich, welche gefährdeten Schmetterlingsarten ich dieses Jahr „besuchen“ will. Viele schöne Biotope werden gut erhalten und sogar verbessert – da muss man nichts schlecht reden. Für dieses Jahr hatte ich mir den Dukatenfalter vorgenommen. Sorgen bereitete mir ein Bericht in der aktuellen „Melanargia“ (Heft 2, XXXII. Jahrgang) in dem die Biostation Siegen Wittgenstein schreibt, dass die noch vor 10 Jahren sehr starke Population auf der Trupbacher Heide bei Siegen verschollen ist. Meine persönlichen Beobachtungen habe ich hier zusammengefasst.
Was mich aber überrascht hat: aus anderen Regionen Deutschlands kamen als Kommentare zu dem Blogbeitrag ähnliche Berichte: Die Bestände an Dukatenfaltern sind demnach in folgenden Gebieten rückläufig oder gar nicht mehr vorhanden: Rhön, Odenwald, Raum Offenbach, Raum Augsburg und im Spessart. Auch aus dem Saarland hört man nichts Gutes. Was ist da los? Das Bundesamt für Naturschutz schrieb mir am 28.07.2020 als Antwort auf meine Anfrage, dass keine Informationen zu den Beständen des Dukatenfalters vorlägen und verwies mich auf den bekannten Artikel von Zapp, Delattinia 35-36 (2010). Zudem wurde mir mitgeteilt, dass man an einer Gefährdungsanalyse arbeite, deren Ergebnisse aber wahrscheinlich nicht vor 2022 zu erwarten sind.
Meine Anfrage beim „Rote-Liste-Zentrum“ ergab, dass die Dukatenfalter tatsächlich verschwinden: Klimawandel steht hier im Vordergrund: trockene Frühjahre, warme Winter, das ist nicht optimal für die im Ei überwinternden Raupen des Dukatenfalters. Zudem müssten die Biotope (aktuell z.B. noch im Hochsauerland) optimiert werden. Als Art, die gerne am Waldrand lebt, braucht sie offene Waldstrukturen mit blühenden Hochstauden im Sommer. Diese werden unnötigerweise durch die Waldwirtschaft zu früh abgemäht – eine Verschiebung der Mahd würde nicht einmal etwas kosten.
Der Apollofalter:

Mosel – Apollofalter, Parnassius apollo, Valwig (Mosel) 02.07.1995, aufgenommen am Apolloweg, Mitte zwischen Parkplatz und Brauselay, Falter wurden auf ca. 10-20 m nach einem Gewitterregen aus dem Sedum zusammengesammelt (Foto: Tim Laußmann)
Gut erinnere ich mich an die „legendären“ Moselapollo-Exkursionen mit den Rheinisch-Westfälischen Lepidopterologen. Zwischen 1992 und 1995 habe ich mir jährlich das Spektakel mit den zahlreichen Apollofaltern beginnend an der Moseltalbrücke bis zum Apollofalter-Weg angesehen. Andächtig standen wir am Fuß der Brauselay bei Cochem und sahen bis zu 50 Falter auf einmal im Fels fliegen. Nach einem Gewitter konnte ich am „Apolloweg“ auf 20 Metern sieben im Sedum album (weiße Fetthenne) ruhende Apollofalter zusammentragen (Bild). Jahrelang dachte ich: da kann nichts passieren, die Biotope sind so beschaffen, dass man sie nicht bebauen, überdüngen oder sonst etwas damit machen kann.
Aber trotzdem: seit etwa zehn Jahren geht es auch dort bergab (Müller und Hanisch, Melanargia Heft 1, XXXII. Jahrgang). Was ist los? Extreme Wetterereignisse und milde Winter werden hier eine Rolle spielen. Aber auch der Verlust an blühenden Pflanzen. Das kann jeder sehen, der darauf achtet. Kann man hier nicht konsequent umliegende Flächen so einsäen und pflegen, dass die Apollofalter weiter eine Nektarquelle haben? Ist genügend Geld für solche Sofortmaßnahmen vorhanden? Das Bundesamt für Naturschutz teilte mir mit, dass ich mich an die lokalen entomologischen Vereine (also an uns selbst?) wenden soll. Ich weise an dieser Stelle darauf hin, dass der Apollofalter eine weltweit besonders geschützte Art und zudem eine FFH-Art ist. Wenn wir diese verlieren, wird die Bundesrepublik Deutschland darlegen müssen, wie das passieren konnte. Ggf. kann es auch zu Klagen und Strafzahlungen kommen.
Was tun!
Meine Frage: Werden solche, teils bundeslandübergreifenden Phänomene überhaupt öffentlich wahrgenommen? Sollten wir das nicht richtig publik machen? Wenn schon Klimawandel im Spiel ist, können der Apollofalter und der Dukatenfalter vielleicht zusammen mit dem Lilagold-Feuerfalter und dem Blauschillernden Feuerfalter nicht als Paradebeispiele dienen, dass viel, viel mehr gegen den Klimawandel und für den Biotopschutz getan werden muss? Diese Schmetterlinge sind bunt und attraktiv – das finden bestimmt auch „normale Menschen“ schade, wenn diese Arten weg wären. Kann man auf politischer Ebene für mehr Geld für vernünftige Biotoppflege sorgen?
Welcher hochranginge Politiker würde sich das auf die Fahne schreiben und hat das Rückgrad zu sagen: ja, ich unterstütze den Naturschutz, ich stelle mich persönlich vor die Naturschützer, die Biostationen, die Behörden und sitze den Lobbisten nicht mehr auf dem Schoß? Finden sich engagierte Sponsoren (Firmen, Privatpersonen)? Ein Engagement im Naturschutz stünde mancher großen Firma, die sich in dieser Hinsicht nicht mit Ruhm bekleckert hat, vielleicht ganz gut zu Gesicht, oder? Da kann man ja auch drüber reden: „Tue Gutes und rede darüber!“. Auch das Sterben der Fichtenwälder könnte hier eine Chance sein, die noch vorhandenen Lebensräume (Dukatenfalter) zu erhalten bzw. zu vergrößern und zu verbessern. Und: kann man nicht öffentliche Flächen viel konsequenter insektenfreundlich pflegen, wo immer das möglich ist – „Balkenmäher statt Schlegelmulcher“? Auf Bundesebene wäre die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben zuständig – da kann der Bund selbst aktiv werden und müsste nicht auf das „klein-klein“ der Kommunen warten! Beispiele gibt es schon. Auch das wäre kostenneutral zu leisten. Kurz gesagt: Ideen gibt es genug, um etwas zu tun. Und diese simplen „Ideen“ sind auch plausibel und logisch – da braucht man keine Arbeitsgruppe, keine Analyse, nicht noch ein Gutachten, keine Beraterfirma. Will man uns für dumm verkaufen?
Um das mal ganz klar zu machen: Ich gebe hier keiner Behörde, keiner Biostation die Schuld. Chronisch unterfinanziert, mit Personalmangel, befristeten Stellen usw. tun sie sicher ihr Bestes. Diese müssen gestärkt werden mit Geld, Personal, Infrastruktur und vor allem: POLITISCHEM WILLEN. Ich gehe zudem davon aus, dass kein Bauer übers Feld fährt und sagt: „jetzt kann ich endlich den letzten Schachbrettfalter erledigen“. Ich glaube immer noch an die friedliche Koexistenz von Landwirtschaft und Naturschutz! Aber: nur mit Forderungen an die Landwirtschaft wird es nicht gelingen, auch hier muss Geld fließen, andere Anreize müssen gesetzt werden. Bauern für die „Produktion“ von Insekten bezahlen! So funktioniert unsere Gesellschaft nun mal.
Also: wie können wir die Politik beeinflussen? Auf irgendjemanden zu warten, der die Sache anpackt, hat meiner Meinung nach keinen Sinn. Oder soll sich der Artenschutz hinter anderen „Erfolgsprojekten“ wie der Energiewende, Verkehrswende, Bildungsoffensive, Digitalisierung,… einreihen? Schade, dass unsere Volksvertreter ihre von uns allen verliehene Macht nicht nutzen: Selbst einfachste, kostenneutrale Dinge, wie oben beschrieben, werden unter der selbst geschaffenen Bürokratie begraben. Wenn man politisch etwas verhindern will, findet sich für alles ein Bedenkenträger. Liebe Leute: sprecht über Lösungen, nicht über Probleme!
Was wir brauchen, sind Personen mit „Gewicht“. Wir „Hobbyentomologen“, die zwar eine sehr gute Artenkenntnis, aber letztlich keine Stimme haben, werden wahrscheinlich kaum etwas erreichen. Wir predigen schon so viele Jahre, viele von uns sind auch entmutigt und desillusioniert. Ich würde mir auch noch viel mehr Unterstützung und Rückendeckung aus dem akademischen Bereich wünschen! Zu schnell werden unsere jahrelangen Beobachtungen als „lediglich deskriptiv“, „wissenschaftlich fragwürdig“ oder als „Erkenntnisse aus dem Amateurbereich“ abgetan (siehe die „Krefeld-Studie“). Das hilft der Sache nicht. Wir müssen uns gegenseitig fördern! Hochrangige Professoren würden vielleicht angehört zu werden. Damit meine ich letzten Endes nicht nur Biologen, ich halte unseren Umgang mit der Natur und deren Ressourcen für desaströs – das wird uns langfristig ruinieren, nur um jetzt das schnelle Geld zu machen? Die Schmetterlinge sind doch nur die empfindlichen Vorboten dessen, was da auf uns zukommt. Also, liebe Ökonomen, wo ist Eure Stimme? Auch „Fridays for Future“ halte ich in diesem Zusammenhang für einen guten Ansprechpartner!
Übrigens: letztes Jahr bekam ich zwei ernst gemeinte Anfragen, ob wir (der Naturwissenschaftliche Verein Wuppertal) Schmetterlinge (gewünscht waren Segelfalter, Schwalbenschwanz, Schillerfalter,… ich vermute, dass hier ein buntes Bestimmungsbuch bemüht wurde) zur Ansiedlung im Garten verkaufen würden und was diese kosten würden. Auch wenn so ein Projekt zum Scheitern verurteilt und auch rechtlich mehr als fragwürdig ist, zeigt es mir, dass das Problem Insektensterben – auch über die Honigbienen hinaus (sind ja eigentlich auch „Nutztiere“!) – so langsam in der breiten Öffentlichkeit ankommt. Gut, der Ansatz „Wiederansiedlung“ ist hier noch ausbaufähig, aber nach einer kurzen Beratung waren die Anfragenden ganz begeistert, dass sie selbst ihren Garten schmetterlingsfreundlich gestalten können.
Jedoch muss man zumindest für Dukatenfalter und Apollofalter sagen: wenn weg, dann weg, dann hilft auch alles Geld nicht mehr! Wenn jetzt nicht gehandelt wird, wann dann? Und bitte, liebe Politik: nicht noch eine Arbeitsgruppe, noch eine Anhörung, noch eine Beraterfirma… ich persönlich habe ein echtes Problem mit dieser „Ankündigungspolitik“ – einfach mal machen! – Wir können das besser – alle zusammen!
Kommentare (s.u.) willkommen!
Lesen Sie hierzu einen Beitrag von Prof. Dr. Kunz, Institut für Genetik, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
Dr. Tim Laußmann ist Leiter der Entomologischen Sektion des Naturwissenschaftlichen Vereins Wuppertal, der im kommenden Jahr 175 Jahre alt wird. Der Diplom-Chemiker lebt in Leverkusen.
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