Der Ölbaum-Zünsler – Palpita vitrealis (ROSSI, 1794) ist aus Zentral- und Nord-Europa als sporadischer Irrgast bereits seit dem 19. Jahrhundert bekannt. Seit der Jahrtausendwende wird er in Deutschland vermehrt beobachtet, zuletzt alljährlich. Kann sich die Art hier erfolgreich etablieren?
Palpita vitrealis (Synonym: Palpita unionalis) ist kosmopolitisch verbreitet, den Kern seines Areals bilden die Subtropen der Alten Welt. Die Raupen der ernähren sich von den Blättern verschiedener Ölbaumgewächse (Oleaceae) und treten in Ölbaum- und Jasmin-Kulturen als ökonomisch relevante Schädlinge in Erscheinung.
In Europa gilt P. vitrealis lediglich in küstennahen Gebieten des mediterranen Südens als bodenständig, beispielsweise in Andalusien. Dort können die weiß-transparenten Falter ganzjährig beobachtet werden. Im Jahr 2024 wurde P. vitrealis in Deutschland bemerkenswert häufig nachgewiesen, allein auf www.observation.org wurden bis Anfang Oktober mehr als 200 Beobachtungen aus 13 Bundesländern dokumentiert.
Über die Ursachen dieser Entwicklung lassen sich – wie so oft – nur Vermutungen anstellen. Denkbar ist, dass die subtropische P. vitrealis im Süden Europas von den vielfach ungewöhnlich milden Wintern und heißen Sommern der letzten Jahre profitiert hat, weshalb sich möglicherweise mehr Falter auf den Weg nach Norden machen (können) als dies früher der Fall war. Wetterlagen, die den Einflug mediterraner Wanderfalter begünstigen, sind allerdings nicht signifikant häufiger geworden, als sie es früher waren. Auch koinzidiert das Auftreten des Falters in Deutschland zwar oft, aber eben nicht immer mit solchen Wetterlagen.
Fakt ist jedoch auch, dass immer wieder Eier, Raupen, Puppen oder Falter eingeschleppt werden. Insbesondere der Ölbaum, die bevorzugte Nahrungspflanze der Raupen, wird im Süden im großen Stil für den Export kultiviert und erfreut sich hierzulande einer wachsenden Beliebtheit. In Gartencentern, Baumärkten und selbst beim Discounter werden Olivenbäume vertrieben, mit und ohne tierische Untermieter. Effekte des Klimawandels wie auch die zunehmende Verschleppung durch den Handel mit mediterranen Gehölzen sind jedoch letztendlich nur zwei der vielen Faktoren, die in Prozessen wie diesem eine Rolle spielen können.
Von einer beginnenden festen Etablierung des Ölbaum-Zünslers in Deutschland ist vorerst nicht auszugehen, denn kein Entwicklungsstadium von P. vitrealis ist in der Lage anhaltende winterliche Kälte und Frost zu überdauern. Bisher liegen keine Hinweise auf erfolgreiche Überwinterungen vor, Imagines wurden in Deutschland ausschließlich in den Monaten Juni bis November beobachtet. Aus dem atlantischen Westen Europas sind ebenfalls keine Freiland-Nachweise aus dem Frühling bekannt; selbst im mediterranen Süd-Frankreich ist dies die Ausnahme.
Da ein permanentes Vorkommen also (noch) ausgeschlossen werden kann, die Anzahl der aktuellen Nachweise durch Einflug- und Einschleppungs-Ereignisse aber nicht zufriedenstellend zu erklären ist, wirft die derzeit zu beobachtende Invasion der Ölbaum-Zünsler weiterhin Rätsel auf – zumal aus Deutschland bislang keine Freiland-Nachweise von Eiern oder Raupen bekannt waren.
Dies änderte sich erst vor einigen Wochen, als Annette von Scholley-Pfab in München-Gern mehrere Falter von P. vitrealis bei der Ei-Ablage an Liguster beobachtete und im Lepiforum über eine erfolgreiche ex larva-Zucht berichtete. Obwohl der zu den Ölbaumgewächsen (Oleaceae) zählende Gewöhnliche Liguster (Ligustrum vulgare) als Nahrungspflanze des Ölbaum-Zünslers hinreichend bekannt ist, wurde die Suche nach den Raupen von Palpita vitrealis an dieser Pflanze bisher offenbar vernachlässigt. Vom genannten Beitrag im Lepiforum inspiriert stattete ich am 1. Oktober 2024 einigen Liguster-Sträuchern, die im Zuge des Baus der Autobahn A60 bei Gransdorf (Rheinland-Pfalz) gepflanzt wurden, einen Besuch ab. Fraß-Spuren, verlassene Gespinste und schwarze Kot-Krümel verrieten bereits auf den ersten Blick, dass hier Raupen am Werk waren. In einem zusammengerollten Blatt fand ich schließlich die etwa 20mm lange, charakteristisch blaugrün gefärbte Raupe von P. vitrealis. Die überwiegend nachtaktive Raupe verließ ihr in einem zusammengerollten Blatt angelegtes Gespinst nur zur Nahrungsaufnahme (die gereichten Liguster-Blätter wurden regelrecht skelettiert!) und verpuppte sich in der Nacht zum 5. Oktober 2024.
Der Gewöhnliche Liguster (Ligustrum vulgare) ist im größten Teil Deutschlands heimisch und ähnlich wie der Ovalblättrige Liguster (Ligustrum ovalifolium) eine beliebte Gartenpflanze – und möglicherweise ein Teil der Lösung des Rätsels um die alljährliche Ölbaum-Zünsler-Flut: Sollten sich die Nachkommen eingeflogener oder eingeschleppter Falter hierzulande nicht nur ausnahmsweise an Liguster entwickeln (was erst durch weitere Beobachtungen abgesichert werden sollte!), ist das gehäufte Auftreten von Palpita vitrealis wenig erstaunlich: Liguster-Sträucher stehen anders als Ölbaum oder Jasmin flächendeckend und in geradezu unbegrenzter Anzahl zur Verfügung.
Da die Entwicklung vom Ei zur Imago unter optimalen Bedingungen innerhalb von nur drei bis vier Wochen abgeschlossen werden kann, werden möglicherweise sogar mehrere Generationen ausgebildet, solange die Witterung dies zulässt. Falls sich diese Vermutung bestätigen sollte, handelt es sich bei Palpita vitrealis anders als bisher vermutet nicht nur um einen gelegentlichen Einwanderer, sondern um einen Vermehrungsgast.
Link:
Palpita vitrealis, Bilder und Verbreitungskarte bei PlantwisePlus Knowledge Bank
Ich hatte in diesem Jahr, in der Zeit vom 22.08. bis 08.09., insgesamt neun Falter an meiner Gartenlampe. Weiterhin habe ich am 02.09. fünf Raupen an unserem Olivenbäumchen gefunden. Dieses Bäumchen steht als Kübelpflanze seit vielen Jahren in unserem Garten. Vergleichbare Beobachtungen hatte ich auch schon im Jahr 2020 gemacht. Einge Falter hatte ich in der Zeit vom 24.08. bis 20.09. an der Gartenlampe und zwei erwachsene Raupen habe ich am 27.08.2020 am gleichen Kübel-Olivenbäumchen gefunden. Auch am 28.08.2023 hatte ich ein Falter an der Gartenlampe.
Nach meiner Meinung sind die meisten Beobachtungen in den letzten Jahren auf die aus dem Süden inportierten Olivenbäumchen zurück zuführen. Zumal kein Stadium vom P. vitrealis die Winter bei uns überstehen kann.
Hallo zusammen,
also hier im Düsseldorfer Raum hatten wir seit dem 8. August bisher acht Nachweise, vier davon in meinem Garten. In Wuppertal hatte Armin Radtke bisher neun Nachweise in 2024, in der Barmener Innenstadt im dritten Stock. Wenn man sich in Schickimicki-Düsseldorf und anderen Innestädten umschaut dann stehen dort an vielen Stellen zum Teil riesige Olivenbäume, die alle im Winterhalbjahr in irgendwelchen Großgärtnereien verschwinden und im Frühjahr wieder ausgeliefert werden. Da könnte ich mir schon vorstellen dass die eine oder andere Puppe das übersteht. In Holland gab es über 1000 Nachweise in 2024 schon ab dem Mai. da glaubt man nicht so recht an einen Einflug.
Danke für den informativen Beitrag! Wahrscheinlich sind viel mehr Arten, die wir in Mitteleuropa nur als gelegentliche Einwanderer wahrnehmen, tatsächlich Vermehrungsgäste. Was uns aufgrund ihrer Seltenheit aber nicht auffällt: Wir sehen – wenn überhaupt – oft lediglich die Spitze des Eisbergs. Selbst bei einer in diesem Jahr so zahlreich als Raupe auftretenden, großen und auffallenden Art wie dem Oleanderschwärmer ist der frühsommerliche Einflug der Elterntiere bei uns praktisch unbemerkt geblieben. Die Grenzen sind sicher fließend: Jeder Wanderfalter kann zum Vermehrungsgast werden, wenn geeignete Nahrungspflanzen vorhanden sind. Das war bei Palpita vitrealis bestimmt auch früher schon der Fall: im August 1982 hatte ich bei Tübingen ein schlupffrisches (im Sammlerjargon „fransenreines“) Männchen am Licht, das nicht so wirkte, als ob es weit geflogen wäre. Es kann sich jedenfalls lohnen, selbst bei einzelnen Falterfunden die Raupen zu suchen, wie es gerade in den letzten Tagen erfolgreich mit der amerikanischen Vanessa virginiensis in Brandenburg geschehen ist. In diesem Fall ist allerdings eine Einwanderung unwahrscheinlich; vielmehr werden die Elterntiere freigelassene Zuchtfalter gewesen sein. Der Klimawandel macht es aber möglich, daß auch submediterrane Arten sich allmählich bei uns etablieren, wie in den letzten Jahren z.B. mit Mythimna vitellina, Eublemma purpurina, Polypogon plumigeralis und – dank der in Gärten gepflanzten Tamarisken – mit Chiasmia aestimaria geschehen. Und um bei den Zünslern zu bleiben: Uresiphita gilvata hält sich an einem Standort im Tauberland seit 2017; mal sehen, ob es dabei bleibt.