Starker Einflug der Bilsenkraut-Blüteneule Heliothis peltigera

Bilsenkraut-Blüteneule

Heliothis peltigera, Wuppertal, 20. August 2022 (Foto: Dahl)

Draußen herrschen seit Wochen marokkanische Wetterverhältnisse. Gluthitze, Trockenheit, dazu starke Windströmungen aus Süden bringen uns auch die mediterrane Fauna in den Garten. Im Supersommer 2022 sind zahlreiche als Wanderfalter bekannte Arten unterwegs.

Wuppertal ist die Regenhauptstadt Deutschlands. In keiner Großstadt regnet es mehr, wie das Männer-Lifestylemagazin „Men’s Health“ bei einer Auswertung von Daten des Deutschen Wetterdienstes festgestellt hat. Danach kommen in der Stadt an der Wupper Jahr für Jahr durchschnittlich 1154,1 Liter Wasser pro Quadratmeter vom Himmel. Soweit so gut, das war der Stand von 2008!

Vor 15 Jahren sah das mit dem Klimawandel in Wuppertal noch überschaubar aus, wer Schmetterlinge beobachten wollte, musste immer mit wetterfester Kleidung ausgerüstet sein. Sommerliche Lichtfänge in der Region endeten oft im Bodennebel bei einstelligen Temperaturen, oder im Steigungsregen am Rand des Bergischen Landes.

Der Sommer 2022 ist da von anderem Kaliber! Am vergangenen Wochenende standen wir wieder mal mitten in der Nacht in TShirt und mit staubigen Sandalen auf einer Steinbruchhalde im Schöller-Dornaper Kalkgebiet. Nach wochenlanger Dürre war die Artenliste ziemlich überschaubar, die Zusammensetzung allerdings um so spektakulärer für die Region.

Die Gelbflügel-Raseneule Thalpophila matura wurde hier schon seit 30 Jahren nicht mehr nachgewiesen. Auch die Südliche Graseule Mythimna vitellina ist erst seit 2019 in der Region häufiger zu sehen, bisher vor allem im Rheintal.

Die Spanische Flagge – Euplagia quadripunctaria hat 2022 endlich auch wieder den Weg ins Bergische Städtedreick geschafft, was dem Kollegen ein paar spitze Schreie entlockte. Von der Art gab es zuletzt Angaben bei WEYMER (1878): „Wird seit 1863 fast alljährlich nicht selten an den steilen Bergabhängen der Wupper bei Friederichsthal, südlich von Solingen, gefangen.“ Weit über 100 Jahre verschollen, ist die Spanische Flagge seit einigen Jahren auf dem Vormarsch Richtung Norden, 2022 neben Wuppertal auch in Wermelskirchen (bei G. Achenbach) und Lindlar (W. Schäfer) angekommen.

Weitere Wanderfalter am Termin waren die Baumwoll-Kapseleule Heliothis viriplaca und der Wanderzünsler Nomophila noctuella. Das tropisch bunte Purpureulchen Eublemma purpurina ist in der Region schon kein Aufreger mehr, sie hat sich offensichtlich etabliert.

Spektakulär auch die Begleitmusik zum Lichtfang: Ein hundertfacher Chor des Weinhähnchens – Oecanthus pellucens, das noch vor ein paar Jahrzehnten nur am Mittelrhein stabile Vorkommen besaß. Das Weinhähnchen kommt mittlerweile bis fast an die Deutsche Nordeeküste vor, und das nächtliche „trüüt-trüüt“-Konzert der Männchen ist für unsereinen der „Sound des Klimawandels“.

Eindeutiger faunistischer Höhepunkt des Abends war jedoch ein echter Südländer, die Bilsenkraut-Blüteneule Heliothis peltigera. Die Art ist im Mittelmeerraum und der subtropischen Paläarktis verbreitet und bodenständig, in Afrika reicht das südliche Vorkommen bis in den Sudan und nach Eritrea. In besonders günstigen Jahren fliegt H. peltigera im Frühsommer nach Norden bis nach England und Skandinavien, und bildet dann eine Herbstgeneration im August und September. Die darauf folgenden Individuen überstehen aber den Winter in Mitteleuropa bislang nicht. Die Falter sind überwiegend tagaktiv und besuchen verschiedenen Blüten wie den Schmetterlingsflieder (Buddleja davidii) und das von Landwirten geschmähte Greiskraut (Jacobaea vulgaris).

Das namensgebende Bilsenkraut Hyoscyamus niger gehört zu den Nachtschattengewächsen, ist hierzulande selten geworden und hat zudem einen fragwürdigen Ruf, da es seit der Antike als halluzinogenes Mittel genutzt wird.

Der Einflug von Heliothis peltigera erfolgte 2022 offenbar bereits im Frühsommer, die beste Datenlage dazu haben mal wieder die Nachbarn aus Holland, in waarneming.nl kann man den Einflug ab Mitte Mai minutiös verfolgen. Dort kann man auch sehen dass der letzte größere Einflug von H. peltigera schon sieben Jahre zurückliegt.

Bilsenkraut-Blüteneule Heliothis peltigera flog 2015 und 2022 in größerer Zahl in den Niederlanden ein. Daten aus waarnemingen.nl

Im Arbeitsgebiet der Rheinisch-Westfälischen Lepidopterologen sind 2022 – Stand 27. August – bisher mindestens neun Nachweise von Heliothis peltigera eingegangen, verteilt über das gesamte Gebiet. Auch hier erfolgte der erste Nachweis bereits am 22 Mai an der Mittelmosel.

Was uns in Wuppertal faunistisch in ein paar Jahren erwartet, kann jeder sich übrigens schon mal im neuesten Beiheft der „Melanargia“ anschauen, das vor ein paar Tagen in den Briefkästen der Mitglieder der AG lag: Hier hat Axel Schmid den aktuellen Kenntnisstand in einem „Hotspot der Artenvielfalt“, dem Mittelrheintal rund um die Loreley, zusammengefasst.

Ob man sich das wirklich wünschen soll, dass bald in Wuppertal ähnliche Verhältnisse herrschen?

Literatur:

Schmidt, A. (2022): Das Naturschutzgebiet „Rheinhänge von Burg Gutenfels bis zur Loreley” und seine Großschmetterlingsfauna (Macrolepidoptera s.l.). Ein „Hotspot” der Artenvielfalt in Rheinland-Pfalz und in Deutschland. Melanargia 34 (Beiheft 2), 120 S.

Unterladstetter, V. (2018): Hyoscyamus niger – Schwarzes Bilsenkraut (Solanaceae) – Jahrb. Bochumer Bot. Ver. 9 233–242

 

 

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2 Antworten zu Starker Einflug der Bilsenkraut-Blüteneule Heliothis peltigera

  1. Monika Weithmann sagt:

    Bei den vielen, regelmäßigen Nachweisen von Mythimna vitellina in den letzten Jahren, frage ich mich manchmal, ob sich die Art nicht längst hier etabliert hat. Denn auch die Raupen wurden am Kaiserstuhl in Baden-Württemberg (18. April 2021) schon gefunden (abgebildet sind in der BH-Lepiforum die Puppen).

  2. Armin Radtke sagt:

    Und gestern Abend gab es dann keine 5km Luftlinie von dem Steinbruch entfernt auf der Ökowiese Kriekhausen in Haan auch wieder zahlreiche Wanderfalter zu beobachten. Bei insgesamt artenschwachem Anflug, wenn man mal von der Vielzahl der X. c-nigrums und einer dreistelligen Anzahl Buchsbaumzünsler absieht, waren aber wieder folgende Wanderfalterarten vertreten: ferrugalis, noctuella, vitellina, armigera – anstelle der peltigera allerdings der Olivenzünsler Palpita vitrealis. Letztere eine Art, die hier im nördlichen Bergischen Land erst in den letzten Jahren gelegentlich zu finden ist.
    Also, wer in diesen Zeiten tagsüber von der geringen Anzahl an Faltern enttäuscht ist, der darf dafür nachts ein paar seltenere Gäste erwarten.

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