Immer weniger Tagfalter – Wie weit ist der Naturschutz vom Artenschutz entfernt?

Fast zwei Drittel aller Tagfalterarten sind in Deutschland in den letzten 100 Jahren seltener geworden, aber 15 % der Landesfläche Deutschlands sind Schutzgebiete. Irgendetwas scheint daran nicht zu stimmen.

Thüringische Landschaft in der Nähe von Schmalkalden, dargestellt um 1870 durch den Maler JOHANN HEINRICH RUDOLPH. Der Hügel ist baumlos, und der Boden ist nur
spärlich bewachsen. Die offenen Sandflächen und Abbruchkanten boten diversen Insekten einen idealen Lebensraum. Eine solche Landschaft ist im heutigen Deutschland fast verschwunden (Abdruck mit freundlicher Genehmigung von VERONIKA TÜRCKE geb. RUDOLPH).

Die Tagfalter der Eifel, einst artenreich verbreitet von den Kalkrasen im Raum Blankenheim im Norden bis zu den Bachtälern im Raum Bitburg/ Prüm im Süden – wo sind sie heute? Wo sind die Zeiten von Friedhelm Nippel und Helmut Kinkler geblieben?
Ich bin Zeitzeuge des völligen oder fast völligen Verschwindens von 8 Tagfalterarten in den letzten 60 Jahren in der Eifel:

Dickkopffalter: Pyrgus carthami, Pyrgus serratulae,
Feuerfalter: Lycaena virgaureae,
Bläulinge: Pseudophilotes baton,
Perlmuttfalter: Fabriciana niobe, Fabriciana adippe,
andere Nymphaliden: Limenitis reducta, Satyriden: Hipparchia fagi.

Hinzu kommen noch fünf Arten, die vor 50 Jahren in der Eifel noch deutlich weiter verbreitet waren, aber heute nur noch ganz wenige letzte Restvorkommen haben. Dazu gehören:
Dickkopffalter: Hesperia comma,
Bläulinge: Polyommatus dorylas,
Scheckenfalter: Euphydryas aurinia, Melitaea diamina, Melitaea athalia.

Welche dieser Arten hat die Gründung des Nationalparks Eifel gerettet? Wildkatze, Uhu und Schwarzstorch sind keine Indikatoren einer Biotopverbesserung. Wir haben sie nur, weil sie nicht mehr geschossen werden und weil wir wieder viel Wald haben.

Einige Ursachen für das Verschwindens der Arten sind eindeutig zu erkennen. Wo sind die Habitate geblieben: die Felskanten mit Lasiommata maera, die feuchten Talsohlen mit über den Schlamm rieselnden Quellwassern mit Lycaena hippothoe? Die Vegetation überwuchert alles. Man sieht doch, warum diese Arten dort nicht mehr leben können. Unsere Landschaft hat diese Stellen, die durch ein spezielles Mikroklima ausgezeichnet waren, verloren. Es fehlen offene vollsonnige Magerrasen mit Felsbändern. Viele ehemalige Raupenlebensräume sind verschattet. In den Jahrzehnten der Klimaerwärmung ist es den Larven zu kalt geworden.

Es fehlt nicht an unberührter Natur (wie viele Menschen meinen), sondern an der historischen Nutzung der Natur. Seit 200 Jahren gibt es kaum noch Hüte-Beweidung. Die Rinder sind im Stall. Die Gehölzentnahme aus den Wäldern findet nicht mehr statt. Die land- und forstwirtschaftliche Nutzung sorgt für eine homogene Gleichförmigkeit der Flächen.

Im „Verbreitungsatlas der Tagfalter“ ist alles übersichtlich für die einzelnen Arten zusammengefasst:

  • Wir brauchen Oberbodenabtragung, breitere unbefestigte Wege in der Feldflur, weitläufige lichte Forstwege. Wertvolle Tagfalter-Habitate werden durch die Rekultivierung von Abgrabungsstellen vernichtet.
  • Tagfalter sind durch „naturnahen“ Waldbau gefährdet. Wir brauchen mehr Rodungen und Holzschläge, Schlagfluren und Leitungstrassen mit Saumgesellschaften und Lichtinseln in den Wäldern. Es gibt kein „gezieltes Kahlschlagmanagement“. Wir haben zu viele Dunkelwälder mit zu dichtem Überschirmungsgrad der Baumkronen.
  • Wir brauchen eine nachhaltige Beseitigung von Bäumen und Gebüschen, vor allem an Böschungen.
  • „Käferkalamitäten“ finden zu selten statt.

Ich finde diese notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Tagfalter nicht als oberste Priorität in den Programmen der Naturschutzverbände und der Politik. Im Gegenteil:
Die „Neuauflage der Nationalen Strategie zur Biologischen Vielfalt“ benennt als Ziel die „natürliche Entwicklung auf 5 % der Waldfläche“, wo fast keine forstlichen Eingriffe mehr stattfinden sollen (https://www.bfn.de/waldnaturschutz-und-nachhaltige-waldbewirtschaftung). Das hilft keinem Tagfalter.
Deutschland wird weiter zuwachsen und viele Tagfalter werden weiter verschwinden. Wir haben uns daran gewöhnt. Wer glaubt heute noch, dass Lycaena virgaureae vor 50 Jahren in den Tälern der Südeifel ein „häufiger“ Falter war?

Wir müssen die Habitate verändern. Fort mit der üppigen Vegetation und dem wuchernden „Grün“. Aber wer will das? Fabriciana niobe kam noch im 19. Jahrhundert in allen deutschen Bundesländern vor. Wer vermisst schon diesen Falter? Das Verschwinden der Arten ist den Menschen gleichgültig. Waldsterben geht halt mehr unter die Haut als Schmetterlingssterben; die Bevölkerung geht dafür nicht auf die Straße.


Dr. Werner Kunz ist Professor für Biologie, er lebt im „Unruhestand“ in Grevenbroich

https://www.kunz.hhu.de/

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4 Antworten zu Immer weniger Tagfalter – Wie weit ist der Naturschutz vom Artenschutz entfernt?

  1. Werner Kunz sagt:

    Völlig richtig, Deine Hinweise, lieber Tim Laußmann. Aber meine Absicht, diese Eingabe in „Melanargia – Schmetterlinge und mehr“ zu machen, war eine ganz andere: Ich wollte die drastische Veränderung unserer Jahrhunderte-alten mitteleuropäischen Landschaft als maßgebenden Faktor des Tagfalter-Rückgangs zur Diskussion stellen, beginnend vor 200 Jahren und radikal seit den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts; daher ja die Beispiele und das Bild.

  2. Ich mache zumindest für die Region Nordsaarland eine völlig andere Feststellung. Bei uns werden zu viele Kahlschläge vorgenommen. Auf diesen Flächen gibt es quasi keinen Schmetterlingsbestand. Denn man lässt es auch nicht zu, dass Pionierpflanzen wie Salweiden, Espen oder Birken wachsen. Überall werden diese Weichhölzer, die essentiell wichtig als Raupenfutterpflanzen sind, abgeschlagen. Auch Bromneerhecken und Brennnesseln werden aktiv behämpft. Wiesenflächen werden mindestens 4 mal konventionell gemäht und 2 mal mit Jauche und Mist gedüngt. Tatsächlich sind die wenigen Plätze, wo Gras und Pflanzen ungehindert wachsen dürfen, noch die artenreichsten Habitate.

  3. Tim Laußmann sagt:

    Den Ausführungen von Herrn Kunz und Herrn Köstler kann ich mich nur anschließen.
    Hinzu kommt meiner Meinung nach der intensive Einsatz von Pestiziden, die im Regelfall nicht an pflanzenfressenden („schädlichen“) Insekten wie Schmetterlingen getestet werden. So wird eine schädigende Wirkung auf deren Entwicklungsstadien mit hoher Wahrscheinlichkeit schlicht übersehen. Da intensive Landwirtschaft überwiegend in den fruchtbaren Ebenen und Tälern stattfindet, verschwinden dort die genannten Offenlandarten – hier wirken Lebensraumverlust, Überdüngung und Pestizideinsatz zusammen. Aber schon ist das perfekte Alibi für den Verlust der Artenvielfalt bei Schmetterlingen ausgemacht: der Klimawandel! Die Tiere können wegen der Hitze nicht mehr im Tiefland überleben und müssen in die Berge ausweichen bis sie dann verschwunden sind – kann man halt nichts machen. Sicher trägt der Klimawandel auch zum Artenverlust bei, aber auch zur Einwanderung von anderen Arten aus dem Süden. Das Thema ist kompliziert.

    Der für mich entscheidende Punkt: Ich bin im vergangenen Jahr zu der Überzeugung gekommen, dass es sinnvollen staatlich kontrollierten und finanzierten Insektenschutz in Deutschland gar nicht gibt. Alles was ich sehe, ist auf eine Initiative einzelner Personen, Vereine oder auch Biostationen (die es zum Glück in NRW gibt) zurückzuführen. Diese Leute stellen sich in den Wind und bekommen es mit einer Lobby zu tun, die nicht zimperlich ist. Mit Glück finden sich Personen bei Behörden oder in der Politik, die unterstützen. Ansonsten ist die Initiative zum Scheitern verurteilt.

    Für mich das Paradebeispiel: Der Untergang des Mosel-Apollofalters – wer ist dafür verantwortlich bzw. wer ist für dessen Schutz zuständig?

    Siehe hierzu: https://www.umweltbundesamt.de/themen/mosel-apollofalter-weinbau-artenschutz

    https://www.rhein-zeitung.de/region/aus-den-lokalredaktionen/kreis-cochem-zell_artikel,-nach-entscheidung-pro-helispritzung-schmetterlingsverein-stellt-weinbau-mit-chemie-infrage-_arid,2621882.html

  4. Wilhelm Köstler sagt:

    Wertvolle Hinweise für den Artenschwund ist dem Newsletter der ANL Bayern
    „Anliegen Natur 46/2 (2o24) zu entnehmen unter
    http://www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/gruenland.
    naehrstoffe.
    Mehr Biomasse, weniger Artenvielfalt !! Das ist auch meine Überzeugung.

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