Das zurückliegende Jahr war in Deutschland das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen. Gut oder schlecht aus der Sicht eines Insektenforschers in Westdeutschland? Können wir den Apollofalter an der Mosel retten? Alle reden von künstlicher Intelligenz, kriegen wir jetzt das „Große Flattern“? Ein kleiner persönlicher Jahresrückblick und Ausblick.
Das Falterjahr 2023 wird mir sicher in Erinnerung bleiben! Schon Anfang Juni hatten wir hochsommerliche Hitze und tropische Nächte mit bombigem Anflug von Nachtfaltern, Schwärmer flogen in Massen – und dann kam das Desaster: Etliche Lichtfangtermine endeten vor überfluteten Straßen, Tagesexkursionen mit nassen Hosenbeinen waren die Regel oder fielen gleich ganz ins Wasser, Stockflecken verzierten die Leuchttücher. Schon im Frühsommer war der Atlantische Ozean nach Expertenmeinung viel zu warm, die feuchtwarme Atlantikluft bescherte uns einen verregneten Spätsommer, es folgte ein viel zu nasser Herbst, und dann kam das Weihnachtshochwasser. An Rhein, Mosel, Ruhr und im Münsterland herrscht nach Rekordniederschlägen derzeit „Land unter“. Die gute Nachricht: Die Grundwasserstände sind nach Jahren der Dürre endlich mal wieder auf Normalniveau, die Moore, Bruchwälder und Feuchtwiesen im Arbeitsgebiet dürften sich im neuen Jahr 2024 erholen, mitsamt den darauf spezialisierten Schmetterlingsarten. Die schlechte Nachricht: Warme Winter werden als mögliche Ursache für den Rückgang der Insekten insgesamt diskutiert. Wenn die hohen Wintertemperaturen die Insekten im Winterschlaf tatsächlich schwächen, dann verheißen die extrem hohen Temperaturen im Herbst/Winter 2023/2024 nichts Gutes für die Insektenpopulationen im kommenden Jahr. Dagegen unternehmen können wir – nichts.
Der rasante Niedergang des Roten Apollos an der unteren Mosel hat unsere Arbeitsgemeinschaft auf den Plan gerufen. Zusammen mit der BUND NRW Naturschutzstiftung haben wir den Moselapollo zum Schmetterling des Jahres gemacht. Wie schon einmal im vorigen Jahrhundert geht es dabei um den Gifteinsatz im Weinbau, genauer gesagt um die Wahl der (Spritz-)Mittel. Und eigentlich wollen wir ja nur den Apollofalter zurück. Und plötzlich ist alles Politik!
Eigentlich war ich in den vergangenen Jahren davon ausgegangen, dass in Deutschland die Verhältnisse, was Umweltgifte und Schadstoffe angeht, stetig besser werden. Grüne sitzen mit in der Regierung in Nordrhein-Westfalen, in Rheinland-Pfalz, und auch im Bund. Da muss ja alles besser werden, umwelttechnisch. Von wegen, kann ich nur sagen.
Zum Glück haben wir Vorstandsmitglieder mit ausreichend chemischem Sachverstand, denn die Lage ist kompliziert: Im Lebensraum des Apollofalters kommen eine Menge verschiedenster Substanzen per Hubschrauber auf die Reben, davon einige mit bedenklichen Nebenwirkungen. Ich will an dieser Stelle nicht die gesamte Recherche wiederholen, deshalb hier nur ein Zitat von der Seite des Umweltbundesamtes, Stand 29. Dezember 2023: „Die meisten Pflanzenschutzmittel verfügen über ein relativ breites Wirkungsspektrum, so dass schädliche Nebenwirkungen auf Tiere und Pflanzen, die keine Schadorganismen sind, nicht ausgeschlossen werden können. Der großflächige und umweltoffene Einsatz der Pflanzenschutzmittel ist daher nicht nur mit einem hohen Nutzen für die landwirtschaftliche Produktion, sondern immer auch mit hohen Risiken für die Natur, das Grundwasser und die biologische Vielfalt verbunden.“
Wer auf die anerkannten Umweltverbände wie den BUND oder NABU als Mitstreiter beim Apolloschutz gesetzt hatte, der reibt sich verwundert die Augen: Die lokalen Organisationen sind in „Dialogprozesse“ mit klingenden Namen wie „Schulterschluss Artenvielfalt“ eingebunden, um nicht zu sagen eingewickelt. In Rheinland-Pfalz sind zudem die Umwelt-, Aufsichts- und Genehmigungsbehörden mit dem Wirtschaftsministerium, der Universitätslandschaft und der Chemieindustrie auf schönste Weise verwoben, um es nicht Filz zu nennen. Wer Lust und Zeit hat, kann sich z.B. einmal die Konstruktion der RLP AgroScience anschauen. Oder versuchen beim Landesamt für Umweltschutz Auskunft zu den aktuellen Zahlen der Apollofalter-Vorkommen zu erhalten. Auf den Webseiten der Behörde findet sich unter „Weitere Informationen zum Artenschutzprojekt Apollofalter“ ein Bericht aus dem Jahre – 1987. Ob das angeführte Umweltbundesamt (UBA) in Dessau, das für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln zuständig ist, wirklich einen verantwortungsvollen Job macht, das werden wir sehen. Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Was mich persönlich am meisten schockiert hat, ist wie leichtfertig seit vielen Jahren in der Landwirtschaft, speziell im Weinbau, mit hochgiftigen Chemikaliencocktails umgegangen wird. Wie großflächig der Einsatz von Pestiziden ist, die bekanntermaßen nicht nur schädlich für ein paar Pilzarten sind. Und wie wenig diese Substanzen – wenn überhaupt – auf ihre Umweltwirkung getestet wurden und werden. Das Rotoren-Geknatter der Spritzhubschrauber an der Mosel ist der Sound des Artensterbens.
Das alles zu recherchieren hat einige Vorstandsmitglieder eine Menge Zeit und Nerven gekostet. Und dabei hat das Jahr 2024 für den Schmetterling des Jahres noch nicht mal richtig begonnen. Hier noch einmal zum Mitschreiben: Niemand hat ein Interesse daran, den Weinbau an der Untermosel abzuschaffen. Dass der Apollofalter an der Mosel ohne Winzer nicht überlebt, ist ein Ammenmärchen. Und die Fakten zu den Pestiziden müssen auf den Tisch, die Zulassungen der entsprechenden Spritzmittel müssen überprüft und die geltenden Gesetze zum Schutz gefährdeter Arten eingehalten werden. Wir werden nicht lockerlassen.
Themenwechsel: Aushängeschilder des Vereins sind die von den Mitgliedern verfassten Publikationen, seien es Faunenbände zu einzelnen Artengruppen, Lokalfaunen oder Berichte über seltene bzw. bemerkenswerte Arten. Das Ganze lebt natürlich vom Mitmachen, und Schriftführer Günter Swoboda freut sich über alle Beiträge. Es müssen auch nicht immer hochwissenschaftliche Texte sein, auch kleine Beiträge und Beobachtungen sind in der Rückschau auf 35 Jahrgänge der „Melanargia“ schönstes Zeilengold und Dokumente der Zeitgeschichte. Wer es wie z.B. Josef Bücker schafft, über viele Jahre dranzubleiben, dessen „Tagfalter von Hagen“ sind Vorbild für alle Lokalfaunisten.
Zu einem modernen Schmetterlings-Verein gehören immer auch Exkursionen, öffentliche Lichtfänge und Vorträge. Die Gäste von heute sind dabei die Mitglieder von morgen und die Vorstände von übermorgen. Aber nur wenn Interessierte auch den Weg zu unseren Veranstaltungen finden. Bitte sendet mir ALLE Eure Veranstaltungen, für den Terminkalender auf der Webseite.
À propos Webseite: Die Verbreitungskarten des Vereins sind zwar immer noch im vertrauten Layout. Aber dank der großartigen Arbeit vor allem von Brigitte und Hajo Schmälter sind die Art-Karten sehr aktuell. Und prallvoll mit „schwarzen Kästchen“, egal ob die Daten jetzt aus Online-Datenbanken oder dem Access®-basierten Vereinsprogramm Insectis stammen. Als Beispiel sei mal hier eine Art herausgegriffen, die winzige Buchenrinden-Zwergminiermotte – Zimmermannia liebwerdella, von der es praktisch keine Nachweise gibt, die älter als fünf Jahre sind. Die Art lässt sich übrigens am besten als Mine auf einem Neujahrsspaziergang im Buchenwald nachweisen.
Die Kenntnis über Verbreitung und Häufigkeit der Falterarten aus dem Arbeitsgebiet bessert sich weiter rasant, nicht zuletzt aufgrung der zunehmenden Internetnutzung. Was früher der Belegfalter auf der Nadel war, ist heute ein ordentlich aufgenommenes Digitalbild, mit minutengenauem Aufnahmedatum und GPS-Stempel. Wenn ehemals ein graubärtiger Experte beim Herrenabend die Steckschachtel mit den Faltern begutachtete, macht das jetzt bei vielen Arten ein Algorithmus. Das Arbeiten im Gelände verändert sich rasch, vor allem die Jüngeren nutzen selbstverständlich die modernen Smartphones. Gute Bestimmungsprogramme erkennen heute problemlos hunderte von Schmetterlingsarten auf Fotos, auch winzige Mikros, Minen oder Raupen. Der Digitale „Zauberlehrling“ in der Hosentasche kann die Graubärte nicht komplett ersetzen, aber er lernt rasch und vergisst nichts.
Wie geht es weiter? Am 1. Januar 2024 startet deutschlandweit „Das Große Flattern“ auf obsidentify, einer der Apps von observation.org. Dabei gilt es ein paar neue Vokabeln zu lernen: Eine „Challenge“ ist ein kleiner Wettbewerb unter den Beobachtern, Belohnungspunkte hießen früher Fleißkärtchen und heute „Badges“. Kartiert wird nicht mit dem Kescher, sondern mit der Kamera des Smartphones. Wer übers Jahr die meisten Arten entdeckt, hat gewonnen.
Und wer das für Unfug hält: 50.000 registrierte Benutzer auf de.observation.org können sich nicht irren: Naturbeobachtung macht Spaß! Gemeinsam entdecken wir mehr!
In diesem Sinne wünsche ich Euch ein aufregendes Jahr 2024 mit vielen tollen Beobachtungen!
Haan, den 30. 12. 2023,
Armin Dahl
Durch Euch konnte ich dieses Jahr viel neues erfahren und erkennen. Armin Dahl ist ein toller Lehrmeister, unvergessen werden mir unsere Tage im Heiligen Meer in Erinnerung bleiben. Zeit Euch mal Danke zu sagen.
Ich freue mich auf 2024 egal was es bringen wird.
Schöner, wenn auch zu Recht nicht immer optimistischer Bericht. Vielen Dank dafür. Und danke auch für den Hinweis auf Zimmermannia liebwerdella. Auf naturgucker.de stammen die meisten Meldungen aus NRW und RLP, aber da es auch Nachweise aus Niedersachsen gibt, will ich jetzt doch mal verstärkt schauen, ob ich die nicht auch bei uns ganz im Norden in SH finden kann…
Auf ein gutes Falterjahr 2024, mit den besten Wünschen
Chris Engelhardt
Für die Suche: an älteren Rotbuchen ab ca. 50cm Durchmesser, die am Waldrand stehen und an der Südseite (Kompass auf dem Handy!) die Sonne abbekommen. Ost-West-Straßen durch den Wald z.B., da hat man freies Blickfeld. Dann sind sie Minen zwar schon älter aber die Suche ist einfacher.
Klimawandel, Apollofalter, Termine, Datenbanken
– Ein kleiner persönlicher Jahresrückblick und Ausblick [von Armin Dahl] –
Ein (zurecht) verdrießlicher Rückblick zu Sylvester:
…“Dagegen unternehmen können wir – nichts“.
Aber: … „Wir werden nicht lockerlassen“.
Aber um was für die Schmetterlinge zu tun, gibt es weitere Fronten, wo wir nicht lockerlassen sollten:
Gerade höre ich Deutschlandfunk „Umwelt und Verbraucher: Neufassung des Bundeswaldgesetzes“, 29.12.23. Der Rundfunk zieht Pierre Ibisch zurate (Professor für „Nature Conservation“ an der „Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde“), um zu erfahren, wie man die Biodiversität erhöht. Seine Empfehlungen wörtlich:
„die Wälder sind möglichst dicht zu halten“
„es wird viel zu viel ausgeräumt aus den Wäldern“
„es gibt zu viele Wege im Wald“
„und zu viele Offenstellen“.
Satyrium ilicis, Fabriciana adippe und Boloria euphrosyne lassen grüßen.
Wir haben die Artenkiller in den eigenen Reihen.
https://1drv.ms/u/s!Aos-e9fNAajkiPUc6iEr8czFYMIbNw?e=4kOmwO
Werner Kunz, http://www.kunz.hhu.de/
Ja, Herr Prof. Kunz, Sie treffen den Nagel auf den Kopf.
Leider haben viele Zeitgenossen immer noch nicht mitbekommen oder sie wollen es auch nicht, dass zu dichte Wälder summa summarum Artenkiller sind.
In meiner Jugendzeit und auch noch danach flogen genau die von Ihnen zitierten Arten „Satyrium ilicis, Fabriciana adippe und Boloria euphrosyne“ und auch noch viele hochkarätigen mehr wie z.B. „Hipparchia semele“ und „Euphydryas aurinia“ hier bei uns im Bereich Königsforst (Köln-Ost). Heute ist das Gebiet sehr viel dichter bewaldet und es sind so gut wie alle seinerzeit vorhandenen besonderen Tagfalterarten verschwunden.
In der nahe gelegenen Wahner Heide sieht es allerdings sehr viel besser aus, dort wurde das Gebiet wenigstens teilweise frei von dichter Bewaldung gehalten (teils Truppen-Übungsplatz) und es stellt heute ein Eldorado für viele seltenen Tier- und Pflanzenarten dar.